PRE-SAFE Sound: Rosa Rauschen, bevor es Krach macht

Ein unausweichlicher Unfall kann das Leben eines Menschen innerhalb von winzigen Momenten komplett verändern. Das Mercedes-Benz PRE-SAFE® System kann dabei helfen, mögliche Folgen zu mindern: Ein Sicherheitsgürtel verschiedener Systeme wird innerhalb der noch verfügbaren Zeitspanne bis zum Aufprall aktiviert, nachdem die Sensoren den drohenden Unfall zum unvermeidbaren Unfall umklassifiziert haben. Gerade einmal 150 Millisekunden dauert es dann beispielsweise, um den reversiblen Gurtstraffer auszulösen. Zum Vergleich: Ein menschlicher Wimpernschlag dauert 100 Millisekunden. "PRE-SAFE® wurde im Jahr 2002 erstmals bei Mercedes-Benz eingeführt", sagt Rodolfo Schöneburg, Leiter Sicherheit, Betriebsfestigkeit und Korrosionsschutz bei Mercedes-Benz Cars. "Es reagiert bereits vor der Kollision und bereitet das Fahrzeug und die Insassen vor. PRE-SAFE ist damit eins unserer Systeme, die sich am realen Unfallgeschehen orientieren und helfen, Menschenleben zu retten.

Mercedes-Benz erweitert PRE-SAFE® nun um PRE-SAFE® Sound. Das Premierenfahrzeug ist die neue E-Klasse der Baureihe 213, erhältlich ab 2016. Das System nutzt erstmals einen natürlichen Reflex, um das Gehör in kritischen Fahrsituationen und bei Kollisionsgefahr auf das zu erwartende Unfallgeräusch zu konditionieren. Es lässt bei erkannter Kollisionsgefahr mit zu erwartenden erheblichen Crashgeräuschen über die Soundanlage im Fahrzeug ein kurzes Rauschsignal ertönen. Daraufhin zieht sich der Stapedius-Muskel in den Ohren reflexartig zusammen, was kurzzeitig die Ankopplung des Trommelfells an das Innenohr verändert und es damit gegen hohe Schalldrücke besser schützt. Der wichtige Effekt: Die Belastung des Gehörs wird durch den Reflex reduziert.

Das klingt simpel, doch wie so oft bei Hochtechnologie steckt vor allem viel Wissen in der Funktionsweise. "Der sogenannte Stapedius-Reflex und seine schützende Wirkung sind schon lange bekannt", beschreibt Wilfried Bullinger, der in der Entwicklung von Mercedes-Benz Cars an innovativen Insassenschutzsystemen arbeitet. "Normalerweise benötigt man zur sicheren Reflexauslösung aber hohe Schalldrücke, typischerweise etwa 100 Dezibel. Dies entspricht z. B. einer Trompete in rund einem Meter Entfernung. Doch dieser Pegel wäre eindeutig zu viel für die gewünschte Umsetzung im Automobil." Dann entdeckten die Experten einen physikalischen Kniff.

AUF ALLEN FREQUENZEN "ROSA RAUSCHEN"

Für die Auslösung des Stapedius-Reflexes ist nicht nur der Schalldruckpegel, sondern auch die spektrale Zusammensetzung des verwendeten Signals entscheidend. Ein einzelner Ton überträgt die benötigte Energie nur auf einer einzigen Frequenz, d. h. diese Frequenz muss mit sehr hoher Lautstärke ans Ohr geschickt werden. Verteilt man die Energieübertragung gleichzeitig auf möglichst viele Töne, d. h. möglichst viele Frequenzen, kann man die benötigte Energie mit deutlich geringerer Lautstärke übertragen. Gut eignet sich für den gewünschten Zweck ein Frequenzspektrum, das die Physik als "Rosa Rauschen" bezeichnet. Es klingt so ähnlich wie zum Beispiel diffuser Verkehrslärm, Meeresbrandung oder ein Wasserfall. "Diese Erkenntnis brachte den Durchbruch", beschreibt Bullinger. "100 Dezibel sind nicht zumutbar. Aber rund 80 Dezibel, wie jetzt von PRE-SAFE Sound® genutzt, sind es: Sie entsprechen etwa dem Geräuschpegel direkt an einer dicht befahrenen Straße." Probandenversuche mit "Rosa Rauschen", um die Idee zu verifizieren, brachten Ende 2011 den Funktionsbeweis – ein wichtiger Zwischenschritt war erreicht.

 

APPELL ANS OHR, SICH SELBST ZU SCHÜTZEN

Der weitere Weg zur Serieneinführung war zwar nicht trivial, doch er erzählt sich vergleichsweise einfach: Im Weiteren ging es darum, das System ins Fahrzeug zu implementieren. Dazu greift PRE-SAFE® erstmals auf Multimediakomponenten des Fahrzeugs zu. Ein Soundchip dort generiert das "Rosa Rauschen". Dieses wird mit einer Lautstärke von circa 80 Dezibel über die Soundanlage abgespielt, wenn PRE-SAFE® den unausweichlichen Unfall erkennt, und das Gehör bereitet sich auf das hohe Geräuschniveau vor, das typischerweise bei einem Aufprall entsteht.

Dieses entsteht, wenn sich innerhalb kürzester Zeit und unter großer Wucht beispielsweise Blech verformt und Glas splittert. "Das ist ein ganz erhebliches Geräuschniveau", erläutert Rodolfo Schöneburg. "Es kann zu einer temporären Hörbeeinträchtigung führen – und genau dem wirkt PRE-SAFE® Sound entgegen. Das System kann diese vielleicht nicht ganz vermeiden, doch es hilft dabei, die Belastungen bei einem Unfall zu verringern."

PRE-SAFE® Sound ist also nicht nur rein technisch gesehen ein Durchbruch, sondern auch eine Grenzüberschreitung auf einem anderen Gebiet: Erstmals werden Reflexe des Menschen zu einem integralen Bestandteil der Sicherheitstechnik im Auto – er stellt quasi seine eigenen Sensoren zur Verfügung, um ein höheres Sicherheitsniveau zu erlangen. "Für uns ist das eine markante Grenzverschiebung", sagt Schöneburg. "Sie wird weitere neuartige Systeme ermöglichen." Welche das sind, lässt der Sicherheitsexperte offen. "Aber der Mensch ist damit noch mehr als ohnehin schon in den Mittelpunkt unseres Interesses gerückt."

 

 

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