Mobilität der Zukunft

Interview mit Torsten Frech, stellvertretender Chefökonom:

HERR FRECH, WIE WIRD DIE WELT AUSSEHEN, IN DER DAIMLER IM JAHR 2025 GESCHÄFTE MACHT?

Zunächst einmal wird die Welt ökonomisch gesehen weiter wachsen. Die weltweite Wirtschaftsleistung wird in den nächsten zehn Jahren um mehr als ein Drittel zulegen. Und die Hälfte dieses Zuwachses wird alleine in Asien stattfinden. Die USA und China werden dann die mit weitem Abstand größten Volkswirtschaften der Welt sein. Gleichzeitig wird die Weltbevölkerung in diesem Zeitraum um mehr als 800 Millionen Menschen wachsen, im Wesentlichen bestimmt durch erhebliche Zuwächse in Afrika und auf dem indischen Subkontinent.

STÖSST DIE NACHFRAGE NACH AUTOS DABEI NICHT IRGENDWANN AN IHRE GRENZEN?

Davon gehen wir nicht aus. Sicherlich beobachten wir in den entwickelten Volkswirtschaften Sättigungseffekte. Aber gerade in vielen Schwellenländern gibt es nach wie vor einen erheblichen Nachholbedarf an individueller Mobilität. Verbunden mit steigenden Pro-Kopf-Einkommen und einer stetig wachsenden Mittelschicht in diesen Ländern wird die Nachfrage nach Autos zunehmen. In China zum Beispiel dürfte der Pkw-Markt von heute knapp 20 Millionen Einheiten auf fast 30 Millionen ansteigen. Das ist, als ob dreimal der gesamte deutsche Pkw-Markt hinzukommen würde. Das Premium-Segment sollte in China und auch weltweit sogar überdurchschnittlich wachsen.

EIN GROSSTEIL DES VON IHNEN ANGESPROCHENEN BEVÖLKERUNGSWACHSTUMS WIRD IN STÄDTEN STATTFINDEN. WAS BEDEUTET DIE FORTSCHREITENDE URBANISIERUNG MIT BLICK AUF DIE AUTOMOBILNACHFRAGE?

Die Megacities dieser Welt haben einen entscheidenden Anteil am weltweiten Wirtschaftswachstum. Der Großraum Tokio beispielsweise wird in 2030 eine Wirtschaftskraft besitzen, die der heutigen Größe der gesamten Volkswirtschaft Brasiliens entspricht. Dieses Wachstum erzeugt natürlich auch Nachfrage nach Autos. Der Platz in diesen Metropolregionen ist jedoch begrenzt. Schon heute sehen wir, dass eine zunehmende Anzahl von Großstädten Maßnahmen einleitet, um die Anzahl neu verkaufter Pkw einzudämmen. Dieses ambivalente Umfeld in den Ballungsräumen erfordert von uns Lösungen, die diesem Megatrend Rechnung tragen. Das heißt vor allem, dass einerseits unsere Fahrzeuge „urbaner“ werden und andererseits innovativen Mobilitätslösungen eine kontinuierlich wachsende Bedeutung zukommen wird.

Interview mit Harald Rudolph, Leiter Daimler Strategie:

HERR RUDOLPH, SIE BESCHÄFTIGEN SICH MIT DER ZUKUNFT DER MOBILITÄT. WELCHE WEITEREN VERÄNDERUNGEN ERWARTEN SIE?

Aufgrund sich weiter verschärfender Gesetzte in allen Kernregionen wird der Anteil an elektrifizierten Fahrzeugen deutlich steigen. Also erwarten wir für die Branche in den nächsten 10 Jahren weitere Verbesserungen in der Batterietechnologie, aber auch die umfassende Konnektivität in allen Neufahrzeugen und die Marktreife beim autonomen Fahren. Das Angebot für den Kunden wird insgesamt noch vielfältiger und neben dem Fahrzeug auch intermodale Mobilität, wie wir es heute schon mit moovel anbieten, umfassen. Wir stehen dabei nicht nur im Wettbewerb mit anderen Automobilherstellern, sondern auch mit Unternehmen, die z. B. aus der IT-Branche kommen.

WISSEN SIE HEUTE SCHON, WELCHE KUNDEN IN ZEHN JAHREN UNSERE AUTOS KAUFEN UND WAS SIE VON UNS ERWARTEN?

Das Durchschnittsalter unserer Kunden wird bis 2025 sinken und der Anteil an Frauen nimmt zu. Unsere Kunden werden vermehrt aus Asien kommen, bestens informiert sein und sich selbstverständlich über soziale Netzwerke über unsere Produkte austauschen. Die Ansprüche an Mobilität werden dann sehr unterschiedlich sein und wir werden diese Vielfalt in unserem Angebot berücksichtigen: vom reinen Fahrzeug über ergänzende Finanzdienstleistungen, der Möglichkeit, ein Fahrzeug nur zeitweise zu nutzen, etwa am Wochenende für besondere Anlässe, bis hin zum Angebot von intermodaler Mobilität über das Automobil hinaus.

WORIN UNTERSCHEIDEN SICH DIE KUNDEN IN DEN EINZELNEN REGIONEN DER WELT?

Jenseits gesetzlicher Auflagen, klimatischer Bedingungen oder Anforderungen aufgrund der Infrastruktur sind die Kundenanforderungen selbst grundsätzlich gar nicht so unterschiedlich. Bei Design und Bedienkonzepten gibt es ähnliche Präferenzen. Aber es gibt durchaus bestimmte Schwerpunkte für einzelne Märkte, die wir konsequent berücksichtigen. Neben dem hohen Stellenwert der Konnektivität in China beispielsweise – das passt zu einem Land, das weltweit der größte Online-Markt ist – legen die Kunden hier z. B. großen Wert auf einen großzügigen und komfortabel eingerichteten Fond. Entsprechend bieten wir dort speziell ausgestattete Fahrzeuge mit verlängertem Radstand an.

WAS BEDEUTET DAS KONKRET FÜR UNSERE ZUKÜNFTIGEN FAHRZEUGE? WIE VERÄNDERN SIE SICH?

Viele Eigenschaften des Forschungsfahrzeugs F 015, das wir Anfang des Jahres 2015 auf der CES in Las Vegas vorgestellt haben, sind exzellente Beispiele dafür, wie wir uns Fahrzeuge in der Zukunft vorstellen: mit neuen, modernen Formen, emissionsfrei, autonom fahrend und mit intuitiv bedienbarer Konnektivität, die es ermöglicht, uneingeschränkt mit der Welt um uns herum in Kontakt zu treten. Kurz: Das Fahrzeug erhält immer stärker die Bedeutung eines dritten Raums, der sich neben der Arbeitswelt und der privaten Welt etabliert. Mit dieser mobilen Lebenswelt schaffen wir zusätzliche Freiräume, die Zeit im Fahrzeug gut und sinnvoll nutzen zu können. Das wird künftig zum Verständnis von Luxus gehören.

UND WERDEN UNSERE KUNDEN DANN AUCH VERSTÄRKT ELEKTRISCH FAHREN?

Ja, der Anteil an elektrischen oder teilelektrischen Fahrzeugen wird zunehmen und nach 2020 noch einmal steigen. Dies gilt insbesondere für China und die USA. Mit unserer Plug-in Hybrid Offensive – allein zehn neue Modelle bis 2017 – bauen wir unser Angebot an elektrifizierten Fahrzeugen massiv aus. Und wir werden auch bei rein elektrischen Fahrzeugen nachlegen.

BRINGT ALSO JEDES NEUE MERCEDES-BENZ MODELL NEUE TECHNOLOGIEN MIT?

Um unsere Vorreiterrolle bei Themen wie der Konnektivität zu sichern, müssen wir auch innerhalb eines Modellzyklus digitale Technologien regelmäßig aktualisieren. Bei Konnektivität können wir nicht mehr in Entwicklungszyklen von mehreren Jahren denken, sondern müssen die hohe Dynamik der Unterhaltungselektronikbranche aufgreifen.

WIRD DIESE HÖHERE DYNAMIK NUR DIE ENTWICKLUNG DER FAHRZEUGE VERÄNDERN?

Nein, Digitalisierung wird unsere gesamte Wertschöpfungskette verändern. Wir müssen Digitalisierung konsequent vom Kunden her denken und dem Kunden ein Erlebnis bieten, das er heute zum Teil schon aus der Unterhaltungselektronik kennt. Dazu zählen beispielsweise die Personalisierung und Individualisierung oder die Information über den Fortschritt in der Produktion. Das ist die neue Qualität, die wir in unseren Prozessen berücksichtigen werden.

WIRD SICH DADURCH DIE ART UND WEISE, WIE MAN AUTOS BAUT, ÄNDERN?

Die Art und Weise, wie wir arbeiten, wird sich ändern, um den neuen Anforderungen der Kunden gerecht zu werden. Dazu gehört, dass wir noch stärker als bisher funktionsübergreifend arbeiten und unsere Prozesse agiler gestalten. Digitalisierung entlang der Wertschöpfungskette funktioniert nur, wenn die einzelnen Beteiligten in Prozessen und nicht in Funktionen denken.

WIDERSPRICHT DIE INDIVIDUALISIERUNG NICHT DER WACHSENDEN BEDEUTUNG DER ‚SHARING ECONOMY’, ALSO DEM GETEILTEN NUTZEN BEISPIELSWEISE VON AUTOMOBILEN ALS EINER KOLLEKTIVEN MOBILITÄTSLÖSUNG?

Das muss man differenziert sehen. Natürlich wird die ‚Sharing Economy’ bis 2025 weiter eine hohe Dynamik aufweisen, und das über alle Bevölkerungsgruppen und Märkte hinweg. Deshalb bauen wir Angebote wie car2go und moovel auch konsequent weiter aus. Neue Sharing-Konzepte sind ebenfalls denkbar. Aber das individuell zusammengestellte Automobil, wie wir es heute kennen, wird es in zehn Jahren natürlich weiterhin geben und nachgefragt werden. Dies gilt insbesondere für Fahrzeug einer emotional stark aufgeladenen Marke wie Mercedes-Benz.

 

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