Michael Kelz lehnt entspannt am Kotflügel seines noch getarnten Prototypen. Es ist kurz nach vier Uhr nachmittags im Niemandsland zwischen dem kalifornischen Bergland und der Steppe Nevadas. Weit und breit sind hier nahe der Geisterstadt Calico keine Erlkönigjäger zu sehen, die den Ingenieurteams von Mercedes-Benz- sonst an jeder Ecke der Welt auflauern.
Die Entwicklung der neuen E-Klasse, die auf der North American International Autoshow (NAIAS) Mitte Januar 2016 seine Weltpremiere feiern wird, ist beinahe abgeschlossen. Bis zum Marktstart im kommenden Frühjahr geht es noch um die Feinarbeit von Antrieb, Fahrwerk und den zahllosen Komfort- und Sicherheitssystemen.
PER DRIVE PILOT VON LOS ANGELES NACH LAS VEGAS
Bei dieser sonnigen Testtour zwischen Los Angeles und Las Vegas mit einem Abstecher in die bereits leicht gepuderten Spitzen der Big Bear Mountains stehen die Fahrerassistenzsysteme der neuen Mercedes E-Klasse im Mittelpunkt. Mit dem DRIVE Pilot lässt sich die Oberklasselimousine insbesondere auf Straßen mit baulich getrennten Fahrbahnen wie Autobahnen und Schnellstraßen fast schon vollautonom fahren.
Je nach Geschwindigkeit, Straßentypus, Kurvenradien, Markierungen und vorausfahrenden Autos nimmt der Projektleiter Michael Kelz auf der Interstate I-15 Richtung Norden die Hände auch mal kurz vom Steuer. Das Vorserienmodell seines Mercedes E 400 bremst, beschleunigt und lenkt dann wie von Geisterhand vollautomatisch.
FREIHÄNDIG ÜBERHOLEN AUF DER INTERSTATE I-15
Mittlerweile ist es Abend geworden. Michael Kelz hat die Augen auf der Fahrbahn, die von den taghellen Multibeam-LED-Scheinwerfern ausgeleuchtet wird. Die Umgebung links und rechts der an diesem Abend viel befahrenen Interstate I-15 ist mittlerweile stockdunkel. Wenn im Kombiinstrument die visuelle Meldung kommt, wieder das Steuer zu übernehmen, reicht ein Streichen über einen der beiden Touch Controls am Lenkrad und es geht weiter – die Berührung entspricht etwa dem Totmannschalter im Führerstand eines Zuges.
Der Projektleiter hat die Beine angewinkelt und die Arme lässig auf den Oberschenkeln. Er betätigt nur kurz den Blinker und die neue E-Klasse wechselt fast wie von Geisterhand die Spur. Dabei hat sie ihre Umgebung immer im Blick. Ist der Vordermann überholt, reicht ein Blinken und die E-Klasse reiht sich wieder automatisch ein. So klappt der Überholvorgang nahezu von selbst. Die lange Tour Richtung Nordosten könnte er perfekt für das Abarbeiten seiner Mails oder mit der Analyse des bald abgelaufenen Testtags nutzen, doch dafür gibt es aktuell keine rechtlichen Rahmenbedingungen und in sehr komplexen Situationen ist dann eben doch der Fahrer gefordert. Nach wie vor trägt dieser immer noch die Verantwortung.
"Daher haben wir zahlreiche Hinweise im Bordbuch und eine mehrstufige Warnstrategie, damit der Fahrer in regelmäßigen Abständen die Hände wieder ans Lenkrad nimmt", erklärt Michael Kelz. Das Fahrerassistenzsystem der nahen Zukunft kann über Eingriffe in die Software des Fahrzeugs jederzeit der lokalen Gesetzeslage angepasst werden.
ENTLASTUNG AUF LANGEN STRECKEN UND IN INNENSTÄDTEN
"Mit der neuen E-Klasse setzen wir Maßstäbe. Das ist nicht einfach, denn die Baureihe hat bei uns eine maximale Spreizung" – der einfachen Taxiversion bis zum AMG-Topmodell,“ erläutert Michael Kelz. Die Generation W 213, die im Vergleich zum Vorgängermodell um bis zu 70 Kilogramm abgespeckt hat, sorgt jederzeit für maximalen Komfort und höchste Sicherheit.
Gerade auch in Innenstädten sollen durch Sensoren und Kameras rundum Unfälle vermieden werden. So bremst die E-Klasse für Fußgänger oder kreuzende Autos oder unterstützt mit ihrem Ausweich-Lenk-Assistenten nach einem Fahrerimpuls bei einem bevorstehenden Zusammenprall das Ausweichmanöver. Im Fall der Fälle kann sie voll vernetzt via Car-X-Kommunikation andere Verkehrsteilnehmer über Gefahrenstellen, Unfälle und Stauenden informieren. Das kann zumindest in Europa derzeit kein anderes Fahrzeug. Anfangs kommuniziert die E-Klasse über einen zentralen Daimler Server nur mit anderen Mercedes-Modellen. In den nächsten Jahren sollen jedoch auch Fahrzeuge von Wettbewerbern hinzukommen. Je mehr Autos hier miteinander kommunizieren, desto besser.
Nahe der gleißend hellen Spielermetropole Las Vegas geht es wieder herunter von der endlos langen Interstate I-15 und erneut besticht der Mercedes E 300 durch Komfort. Trotz schlechter Fahrbahn rollt er flüsterleise ab und selbst Vibrationen dringen, obwohl es sich bei diesem Fahrzeug noch um einen Prototypen handelt, kaum noch in den Innenraum. Am Ziel der Reise angekommen zeigt sich, dass die Komfortzone der E-Klasse lange nicht an der Autotür endet. Selbst beim Einparken kann man entspannen. Auf dem Parkplatz, der diesmal besonders eng ist, wird unser Gefährt per Smartphone in die Lücke manövriert und anschließend verschlossen. Wir stehen daneben und schauen staunend zu.
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